Working Paper

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Zwei­tes Working Paper | Juni 2019

Anti­ur­ba­ne Uto­pi­en. Die Stadt im Dis­kurs der Rech­ten

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Ein­lei­tung
Popu­lis­mus, Demo­kra­tie, Stadt. Drei gro­ße The­men, die in der gesell­schaft­li­chen Selbst­ver­stän­di­gung und in den Sozi­al­wis­sen­schaf­ten fest eta­bliert sind und die in den letz­ten Jah­ren noch an Bedeu­tung gewon­nen haben; man den­ke nur an Aus­ein­an­der­set­zun­gen um AfD, Wahl­be­tei­li­gung oder Mie­ten­wahn­sinn. Wie ver­hält es sich mit den wech­sel­sei­ti­gen Bezie­hun­gen zwi­schen den Kon­zep­ten? Popu­lis­mus kann als Gegen­ent­wurf zur Demo­kra­tie ver­stan­den wer­den, als Kri­tik einer Ent­lee­rung der Demo­kra­tie oder umge­kehrt als Grund­la­ge von Demo­kra­tie. Demo­kra­tie ist ihrer­seits his­to­risch betrach­tet von der Eman­zi­pa­ti­on der Stadtbürger*innen aus per­sön­li­chen Abhän­gig­kei­ten nicht zu tren­nen, und städ­ti­sches Leben in sei­ner Hete­ro­ge­ni­tät und Kon­flikt­haf­tig­keit erfor­dert Betei­li­gung, Selbst­or­ga­ni­sa­ti­on und Aus­hand­lung. Wenn die Stadt ein (demo­kra­ti­sches) Betei­li­gungs­pro­jekt und auch Demo­kra­tie und Popu­lis­mus in enger Bezie­hung ste­hen, dann könn­te die Stadt auch der prä­de­sti­nier­te Ort des Popu­lis­mus sein. Als die­ser gel­ten in der öffent­lich geführ­ten Debat­te jedoch vor allem die länd­li­chen Regio­nen.
wei­ter­le­sen

Die kom­pli­zier­ten Bezie­hun­gen zu ent­wir­ren, qua­li­ta­ti­ve empi­ri­sche Befun­de zur Gefahr eines urba­nen rech­ten Popu­lis­mus zu erhe­ben und in die Debat­ten der zivil­ge­sell­schaft­li­chen poli­ti­schen Öffent­lich­keit zu inter­ve­nie­ren, sind Zie­le des For­schungs­pro­jekts PODESTA. Im Pro­jekt­ver­lauf wer­den Zwi­schen­er­geb­nis­se bezie­hungs­wei­se Ergeb­nis­se von Teil­stu­di­en in einer Rei­he von Working Papers doku­men­tiert.
Das ers­te Working Paper hat­te nach dem popu­lis­ti­schen Moment in der Stadt­ent­wick­lung gefragt. Im Rück­griff auf For­schun­gen und Stu­di­en zur Popu­lis­mus- und Stadt­for­schung sind wir dort der The­se nach­ge­gan­gen, dass der gesell­schaft­li­che Rechts­ruck der letz­ten Jah­re auch des­halb zustan­de kam, weil die sozia­len und poli­ti­schen Kri­sen­er­fah­run­gen zu- und die Steue­rungs­fä­hig­keit der Poli­tik abge­nom­men haben. Den rech­ten Dis­kurs haben wir als Aus­druck und Ver­stär­ker der Post­de­mo­kra­tie bezeich­net. Auf Grund­la­ge die­ser Über­le­gung haben wir ver­schie­de­ne Kon­flikt­fel­der der Stadt­ent­wick­lung dar­auf­hin unter­sucht, ob und wie sich dort ein Demo­kra­tie­de­fi­zit beob­ach­ten lässt, das popu­lis­ti­sche Res­sen­ti­ments begüns­ti­gen und Anschluss­stel­len für rech­te Poli­tik­an­ge­bo­te schaf­fen kann.

Das vor­lie­gen­de zwei­te Working Paper geht der Fra­ge nach, ob der rech­te Dis­kurs in der Lage ist, die­sen popu­lis­ti­schen Moment für sich zu nut­zen bezie­hungs­wei­se wie es ihm gelingt, poli­ti­sche Unzu­frie­den­heit, die sich an Stadt­ent­wick­lungs­fra­gen ent­zün­det, umzu­co­die­ren. Empi­risch umge­setzt wird die­ses Vor­ha­ben durch eine sys­te­ma­ti­sche Ana­ly­se von Bei­trä­gen aus rech­ten Zei­tun­gen und Maga­zi­nen, Inter­net­ver­öf­fent­li­chun­gen und Doku­men­ten der par­la­men­ta­ri­schen Debat­te. In der Durch­füh­rung hat es sich als hilf­reich erwie­sen, die Fra­ge­stel­lung ent­spre­chend zwei­er ana­ly­ti­scher Per­spek­ti­ven zu dif­fe­ren­zie­ren, wel­che die Aus­wer­tung des Mate­ri­als lei­ten: zum einen der Blick auf den Stadt­be­griff, den die Autor*innen ihren Aus­füh­run­gen zugrun­de legen; zum ande­ren die Argu­men­ta­ti­ons­mus­ter rech­ter Stadt­po­li­tik, sofern sie im Mate­ri­al frei­ge­legt wer­den konn­ten.

Die Ana­ly­se, soviel sei vor­weg­ge­nom­men, offen­bart den gespal­te­nen Blick der Rech­ten auf die Stadt. Sie leh­nen Urba­ni­tät eben­so ab wie sie sich der Bedeu­tung des urba­nen Raums im Kampf um Deu­tungs­ho­heit und Sympathisant*innen bewusst sind. Als Brü­cke dient ihnen der Abgleich zwi­schen der Stadt, wie sie eigent­lich sei (geord­net, wehr­haft, pro­duk­tiv, mono­kul­tu­rell) und wie sie sich fata­ler­wei­se ent­wi­ckelt habe (unkon­trol­liert, unüber­schau­bar, deka­dent).

Autor*innen
Peter Besche­rer | Anne Burk­hardt | Robert Feus­tel | Gise­la Macken­roth | Luzia Sie­vi


Ers­tes Working Paper | August 2018

Urba­ner Popu­lis­mus? Das Gefah­ren­po­ten­ti­al der Stadt­ent­wick­lung

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Ein­lei­tung
Rechts­po­pu­lis­mus wird häu­fig als pro­ble­ma­ti­sche Hal­tung von Modernisierungsverlierer*innen in länd­li­chen und deindus­tria­li­sier­ten Regio­nen beschrie­ben. Wäh­rend der Zuzug in die Städ­te anhält, blei­ben in den Dör­fern vor allem älte­re Men­schen und weni­ger gebil­de­te Män­ner zurück. Die abge­häng­ten Bevöl­ke­rungs­tei­le nei­gen die­ser Auf­fas­sung nach beson­ders häu­fig zu auto­ri­tä­ren Poli­tik­vor­stel­lun­gen und die Rech­ten sei­en die ein­zi­gen, die ihnen als ›Küm­me­rer‹ Auf­merk­sam­keit ent­ge­gen­brin­gen. Tat­säch­lich scheint ein Blick auf die geo­gra­phi­sche Ver­tei­lung der Stim­men­an­tei­le der Par­tei Alter­na­ti­ve für Deutsch­land (AfD) die The­se zu bestä­ti­gen, dass es sich beim Rechts­po­pu­lis­mus (zur Pro­ble­ma­tik des Begriffs sie­he das ers­te Kapi­tel) um die »Rache der Dör­fer« han­delt (Kaschu­ba 2016). So erhielt die AfD bei der Bun­des­tags­wahl 2017 in den Städ­ten und Stadt­re­gio­nen weni­ger Zweit­stim­men als in den länd­li­chen Regio­nen. Es gibt aber auch Grün­de, den Stadt-Land-Unter­schied genau­er zu betrach­ten: wei­ter­le­sen

So lässt eine klein­räu­mi­ge Aus­wer­tung der Bun­des­tags­wahl 2017 erken­nen, dass die Wahl­er­geb­nis­se der Par­tei­en in den Stadt­re­gio­nen sehr unter­schied­lich sind (Abb. 2 und 3). Es zeich­net sich eine Dif­fe­renz zwi­schen Zen­trum und Peri­phe­rie ab, wobei die Stim­men­an­tei­le der AfD in den Rand­ge­bie­ten, die über­dies nicht die ein­kom­mens­schwächs­ten sind, sich vom länd­li­chen Raum nur wenig unter­schei­den. Auch die Ein­stel­lungs­for­schung, die über die Erfas­sung des Wahl­ver­hal­tens hin­aus­geht, kommt zu ähn­li­chen, den schrof­fen Stadt-Land-Gegen­satz unter­lau­fen­den Ein­schät­zun­gen. Laut vor­lie­gen­der empi­ri­scher Stu­di­en »sind rechts­po­pu­lis­ti­sche, rechts­ex­tre­me und neu­rech­te Ein­stel­lun­gen auf dem Land zum Teil zwar signi­fi­kant stär­ker aus­ge­prägt, aber – das muss betont wer­den – der Unter­schied zwi­schen Stadt und Land ist dabei nicht sehr groß« (Küp­per 2017: 31). Grund genug, die Städ­te als Orte der Demo­kra­tie­kri­se und Labo­ra­to­ri­um für Gesell­schafts­ent­wür­fe der neu­en Rech­ten genau­er unter die Lupe zu neh­men. Auch in den Städ­ten, so soll im wei­te­ren Ver­lauf gezeigt wer­den, ver­dich­ten sich Kri­sen zu einem »popu­lis­ti­schen Moment« (so bereits Good­wyn 1978 in Hin­blick auf den ame­ri­ka­ni­schen Agrar­po­pu­lis­mus) oder hin­ter­las­sen eine »popu­lis­ti­sche Lücke« (so Flecker/Kirschenhofer 2007 in Hin­blick auf Umbrü­che in der Arbeits­welt). Die­ser Moment bezie­hungs­wei­se die­se Lücke wer­fen grund­sätz­li­che Fra­gen der poli­ti­schen und sozia­len Orga­ni­sie­rung des Zusam­men­le­bens auf. Ent­schei­dend ist, wie sich unter­schied­li­che poli­ti­sche Akteur*innen in sozi­al exklu­die­ren­der oder sozi­al inklu­die­ren­der Art auf die popu­lis­ti­schen Hal­tun­gen bezie­hen. Im vor­lie­gen­den Working Paper wer­den die­se Kri­sen und Kon­flik­te im städ­ti­schen Umfeld skiz­ziert und es wird beschrie­ben, inwie­fern sie eine Ermög­li­chungs­be­din­gung für die gegen­wär­ti­ge Wel­le des Rechts­po­pu­lis­mus dar­stel­len. Die Berei­che der Stadt­ent­wick­lung und Stadt­po­li­tik, die im zwei­ten Kapi­tel hin­sicht­lich rechts­po­pu­lis­ti­scher Deu­tungs­mög­lich­kei­ten genau­er betrach­tet wer­den, sind die Woh­nungs­po­li­tik, die Bürger*innenbeteiligung im Kon­text städ­te­bau­li­cher Pro­jek­te, die kom­mu­na­le Sicher­heits­po­li­tik sowie die Migra­ti­ons­po­li­tik. Im Kon­text die­ser The­men­fel­der sind Mikro­kon­flik­te (also lokal begrenz­te Aus­ein­an­der­set­zun­gen) zu beob­ach­ten, wie im drit­ten Kapi­tel anhand je eines Falls aus Leip­zig und Stutt­gart skiz­ziert wird. Wäh­rend sich die­ses ers­te Working Paper damit befasst, ob und inwie­fern bestimm­te Ten­den­zen der Stadt­ent­wick­lung dem rech­ten Popu­lis­mus unge­wollt zuar­bei­ten, wird ein wei­te­res die kon­kre­ten Ver­su­che ana­ly­sie­ren, die popu­lis­ti­sche Lücke von rechts zu beset­zen.

Autor*innen
Peter Besche­rer | Robert Feus­tel | Lau­ra Schelenz | Luzia Sie­vi